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Kommentar: |
Rolf Riehm
Einige meiner Stücke beziehen sich in direkter Weise auf das Zeitgeschehen.
Das „Notturno für die trauerlos Sterbenden“ für
Gitarre spielt auf die unsäglichen Begleitumstände an, unter
denen 1977 die Beerdigung der RAF-Leute Baader, Ensslin und Raspe vonstatten
ging. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel, in dessen Zuständigkeit
der Vorgang fiel, bestand auf einer normalen Beerdigung, wofür er
mit teilweise unflätigen Schmähungen eingedeckt wurde. „KlageTrauerSehnsucht“
für zwei Gitarren entstand unter dem Eindruck der Diktatur in Chile
und ist der Erinnerung an Victor Jara gewidmet, einem der damals bekanntesten
chilenischen Musikern. Er wurde unter Pinochet 1973 ermordet.
Inzwischen ist die Zeit der polarisierenden Ereignisse vorbei und es mag
heute schon wie politische Folklore anmuten, daß es in unserem Lande
Berufsverbote (noch nicht aufgehoben), Repression, Rasterfahndung, einen
„Deutschen Herbst“ mit den schlimmsten Verengungen politischer
Kultur gab. „Tempo strozzato“ reflektiert diese bedrohlichen
Zeitläufe. Der Titel ist doppeldeutig und meint einmal: „würgende
Zeit“. Außerdem bedeutet er „drosselndes Tempo“,
ein Hinweis auf die Kompositionstechnik. Die vier Stimmen verzichten nämlich
zunehmend auf Eigenständigkeit zugunsten einer radikal koordinierten
Gemeinsamkeit, so als wenn es darum ginge, die Kräfte zu größtmöglicher
Selbstbehauptung zu sammeln. Im gleichen Maß geht die „Zeitfülle“
(„Tempo“) und Vielgestaltigkeit der inneren Vorgänge
(etwa in der Harmonik und Lagendisposition) zurück, das lebhafte
Hinrasen der Spieler wird zunehmend unterbrochen, durch rhythmische Formeln
diszipliniert. Gleichsam unter äußerstem Druck bleibt nur mehr
e i n e Artikulationsebene übrig, in der sich jedoch noch –
da tritt die meatphorische Arbeitstechnik des Stückes unverdeckt
nach vorn – ein kleinster, aber unbeirrbarer Bewegungs-/Hoffnungsimpetus
erhält. Die „würgende Zeit“ ergreift über die
Abbildhaftigkeit hinaus die unmittelbar kompositorische Sphäre, sodaß,
wie ich mir wünschen würde, das Stück nicht bloß
eine musikalische Proklamation der Beschädigung und Zuversicht ist,
sondern im ureigensten Ausdrucksbereich deren Manifestation.
(1991)
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