Titel:

Tempo strozzato (1978)

 
  Besetzung: Streichquartett  
  Dauer: 21 Min  
  Uraufführung: Witten, Städtischer Saalbau Festsaal, Wittener Tage für neue Kammermusik 1983
24.April 1983
Saarbrücker Streichquartett: Tomoko Kiba, Andreas Kiefer, Eckart Schloifer, Wolf-Dietrich Wirbach
 
  Verlag: Ricordi, München  
  CD: Rolf Riehm, Talking Music Con Brio, TalkM 1006, Tonträger Liebermann, Friedrich-Ebert-Str. 11,
95448 Bayreuth, Tel 0921/66701
 
  Aufnahme: Süddeutscher Rundfunk Stuttgart  
  Auftrag: Westdeutscher Rundfunk Köln  
  Kommentar:

Rolf Riehm
Einige meiner Stücke beziehen sich in direkter Weise auf das Zeitgeschehen. Das „Notturno für die trauerlos Sterbenden“ für Gitarre spielt auf die unsäglichen Begleitumstände an, unter denen 1977 die Beerdigung der RAF-Leute Baader, Ensslin und Raspe vonstatten ging. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel, in dessen Zuständigkeit der Vorgang fiel, bestand auf einer normalen Beerdigung, wofür er mit teilweise unflätigen Schmähungen eingedeckt wurde. „KlageTrauerSehnsucht“ für zwei Gitarren entstand unter dem Eindruck der Diktatur in Chile und ist der Erinnerung an Victor Jara gewidmet, einem der damals bekanntesten chilenischen Musikern. Er wurde unter Pinochet 1973 ermordet.
Inzwischen ist die Zeit der polarisierenden Ereignisse vorbei und es mag heute schon wie politische Folklore anmuten, daß es in unserem Lande Berufsverbote (noch nicht aufgehoben), Repression, Rasterfahndung, einen „Deutschen Herbst“ mit den schlimmsten Verengungen politischer Kultur gab. „Tempo strozzato“ reflektiert diese bedrohlichen Zeitläufe. Der Titel ist doppeldeutig und meint einmal: „würgende Zeit“. Außerdem bedeutet er „drosselndes Tempo“, ein Hinweis auf die Kompositionstechnik. Die vier Stimmen verzichten nämlich zunehmend auf Eigenständigkeit zugunsten einer radikal koordinierten Gemeinsamkeit, so als wenn es darum ginge, die Kräfte zu größtmöglicher Selbstbehauptung zu sammeln. Im gleichen Maß geht die „Zeitfülle“ („Tempo“) und Vielgestaltigkeit der inneren Vorgänge (etwa in der Harmonik und Lagendisposition) zurück, das lebhafte Hinrasen der Spieler wird zunehmend unterbrochen, durch rhythmische Formeln diszipliniert. Gleichsam unter äußerstem Druck bleibt nur mehr
e i n e Artikulationsebene übrig, in der sich jedoch noch – da tritt die meatphorische Arbeitstechnik des Stückes unverdeckt nach vorn – ein kleinster, aber unbeirrbarer Bewegungs-/Hoffnungsimpetus erhält. Die „würgende Zeit“ ergreift über die Abbildhaftigkeit hinaus die unmittelbar kompositorische Sphäre, sodaß, wie ich mir wünschen würde, das Stück nicht bloß eine musikalische Proklamation der Beschädigung und Zuversicht ist, sondern im ureigensten Ausdrucksbereich deren Manifestation.

(1991)

 
       
       
       
       
   
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