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Kommentar: |
Rolf Riehm
Scheherazade ist eine in der Reihe der Frauen, die ihr Leben dadurch retten
können, daß sie den Sultan mit Erzählungen fesseln. Bisher
hat er alle umgebracht.
Es gibt eine Version, wonach sie es der Phantasiehilfe ihrer Schwester
zu verdanken hat, daß ihr der Stoff nicht ausgeht.
Aber sie droht der Ambiguität der Situation zu erliegen. Nicht daß
sie vergessen hätte, wen sie vor sich hat. Doch sie kann nicht ihre
Erzählkunst steigern und zugleich das Modell der Einverständlichkeit,
nach dem dies funktioniert, zerstören. Je länger desto mehr
macht sie sich den Sultan zum Komplizen. Unheilvoll vermengt sich das
Bild dessen, der sie an der Gurgel packt, mit dem, der ihr an den Lippen
hängt. Nicht der Sultan, sondern die Verstrickung in ihre Kunst bedroht
sie daher. Wieder braucht sie die Hilfe der Schwester. Aber die Aufgabe
ist nahezu unlösbar: Gefordert ist, die Sprachzeichen ihres superponierenden
Eiogensinns, der sich als Netz über sie und den Sultan zu senken
beginnt, zu berauben und diese wieder auf den Boden des bloßen semiotischen
Austauschs zu stellen.
Entweder Scheherazade redet weiter, dann verliert sie ihre Autonomie an
die Macht der Metazeichen oder sie wahrt die Differenz von Zeichen und
Eigensinn, dann hat sie nichts mehr zu erzählen.
Sie verliert schier den Verstand. Ob das hilft?
(1991)
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