Titel:

Lamento di Tristano (1982)

 
  Besetzung: 2 Gitarren  
  Dauer: 12 Min  
  Verlag:

Edition Moeck

 
  Aufnahme Susanne Hilker/Harald Lillmeyer, Westdeutscher Rundfunk Köln  
  CDs: Helmut Oesterreich/Thomas Bittermann, Ensemble Nunc, signum SIGX61-00,
Rolf Riehm Kompositionen für Gitarre, Cybele 260.601 DDD Stereo
 
  Kommentar: Rolf Riehm  
       
    Die Stücke sind „Nachtbilder“ aus der Geschichte von Tristan und Isolde (altfranzösisch, 12. Jahrhundert):

Il sonno di Tristano (der Schlaf des Tristan)
Le notte di Tristano (die Nächte des Tristan)
Tristano vuole obliare il profumo della bella di notte (Tristan will die Erinnerung an den Duft der Nachtviolen auslöschen)
La morte di Tristano (der Tod des Tristan)

Der Pinsel, mit dem diese Bilder gemalt sind, ist das

Lamento di Tristano (die Klage des Tristan),

eine Estampie aus der Zeit des Romans. Je nach dem Charakter der Bilder sieht man den Pinselauftrag deutlich oder kaum noch: breite Striche, hartes Draufstoßen auf die Leinwand, zögernde Tupfer...

Il sonno di Tristano
Tag-und Nachtmensch laufen auseinander (verschiedene Tempi). Reflexe des – für Tristan und Isolde ja immer bösen – Tages; Beruhigung.
In das der Entlastung bedürftige schläfrige Gemüt schiebt sich wie ein Alp die Melodie vom „Lamento“. Das ist der „schwere Schlaf“. Wie im Traum üblich, nimmt die Melodie verschiedenartige Formen an, drohende, hinhaltende, unfaßbare.

Le notte di Tristano
Im Roman wird oft von Nächten berichtet, in denen die zwei zwar miteinander schlafen, aber immer ist jemand hinter ihnen her. Sie sind beisammen, kommen aber nicht zu sich selbst.
Ein solches „dramatisches Erotikon“ soll dieses Stück sein. Zwei Individuen mit gleicher Empfindung, aber ohne – musikalisch gesehen – Synchronisation. Und wenn gleichzeitig, dann nur in äußerster Disziplin oder Anspannung, Verkrampfung. Mit der Bedrohung im Nacken. Gegen die kann man sich nur bannend mit strengem Willen wehren.

Tristano vuole obliare il profumo della bella di notte
Das Wort „bella di notte“ ist doppeldeutig. Es heißt „die Schöne der Nacht“, ist aber auch der Name einer Pflanze, die in der Abenddämmerung ihr betäubendes Aroma aussendet. Ihrer beider Leben zuliebe will Tristan die Liebe in sich erschlagen. Er versucht es in immer neuen Ansätzen, unerbittlich und hart. Das Thema des Satzes ist n i c h t die Abwesenheit dieses verführerischen Duftes, sondern die Anwesenheit der Vergessensarbeit. Kein Spalt darf sich auftun, durch den das zerstörerische Aroma einfließen könnte. Der Satz muß, in scheinbarem Widersinn zum Titel, mit schärfster Präzision gespielt werden.
Die in einem rüden Zustand gelassene Präsenz der Estampie – eine ausbreitende Ablenkung ins Kunsthafte wäre ja durchaus unangebracht – läßt sich leicht entschlüsseln.

La morte di Tristano
Im Sterben fokussieren nochmals die Ingredienzien dieser Liebe: Kraft, Zerstörung, Innigkeit, Hoffnung...vor allem: Grenzenlosigkeit. So wie sie schon in dieser kurzen Zeitspanne wuchs, wäre sie unermeßlich geworden. (Irreale Horizontverschiebungen verlangt der Leser seit je von solchen Balladen, sie sichern die Imagination lustvoller Unerfüllbarkeit.)
Die musikalische Metapher dafür:
Die Expansionslinien einer Simultan (Terzen) - / Sukzessiv (Melisma) – Konstruktion laufen rapid auseinander. Wo führt das hin?

 
   
(1982)
 
       
       
       
   
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